Ob nun eine Entschuldigung oder nicht, sei dahingestellt, wurden wir Nachkriegskinder in Gehorsam und als „Ja-sager“ erzogen. Das war die Überlebensstrategie meiner Eltern in Ausschwitz und Buchenwald. Und da sie ihnen das Überleben ermöglichte, wurde diese funktionierende Strategie an uns weitergegeben. Mütter, in brennenden und ausgebombten Städten, hatten eine andere. Diese kenn ich nicht.
Dies, in Verbindung mit einer Konfliktscheuheit und dem Bedürfniss nach Harmonie, wie ich sie dem Durchschnitt gleich in mir trage, ist die ideale und willenlose Knetmasse von Ideologien, wenn Lebens- und Existenzängste mich ergreifen. Ich kann doch nicht, nur weil alles weit weg ist von mir, scheinheilig tun, als stände ich über diesen Dingen. Als könnte mich dieser Strudel nicht erfassen und nach unten zieh`n, in ein 4. Reich.
Dies in sich zu fühlen ist wie eine Krankheit, Aussätzigkeit, in welcher die Medizin gesucht wird, gesund zu werden und die eigenen „Immunkräfte“ so zu stärken, das sie sich dem widersetzen können.
Ich hoffe, das ich niemals den Beweis vor mir selber antreten muss. Aber, und das ist das furchtbare an der Geschichte, ich vermute, dass es die nächsten Generationen müssen. Oder, interpretiere ich die Geschichte der Menschheit falsch?
Aber was Du anders machst, ist, dass Du differenziert hinterfragst und Dir Gedanken machst. Das hat mit einfachem Ja-Sagen nichts mehr zu tun.
Aber dazu habe ich 56 Lebensjahre benötigt, Violine. Und wenn es überhaupt eine Botschaft ausser der eigenen Hinterfragung hier gibt, dann diese, dass die jungen Menschen heute nicht mehr so lange warten dürfen und können wie ich, sich kritisch, auch gegenüber sich selbst, auseinanderzusetzen. Ich habe in der glücklichen Zeit jetzt gelebt, die vom „Nie mehr Krieg “ bestimmt war. Wie lange hält dieser Wunsch vor?
Ich möchte nicht schwarzmalen. Doch schaut man sich um, glaube ich zumindest sagen zu können, das Risiko beseht. Und oft bin ich auch erstaunt, wie viele junge Menschen sich schon damit beschäftigen. Mir war das fremd in dem Alter und so hoffe ich, dass sich diese junge Menschen zu der ausreichend kritischen Masse zusammenfinden können.
Ich bin der festen Überzeugung, Menachem, das kein Mensch für sich die Hand ins Feuer legen kann. Es muss ja gar kein Krieg sein: Wie reagiert man, wenn eine Gruppe beim Nachbarn die Scheiben einschlägt? Will man aufmucken und der nächste sein? Will man auch nur der sein, der die Polizei geholt hat? Wenn man Familie hat?
Diese Dinge gehen jedem in solchen Situationen durch den Kopf, wenn er nicht tollkühn ist. Man hat einfach Angst. Und dann atmet man (vielleicht) durch und sagt sich: „Wenn ich jetzt weggucke, dann verliere ich für mein ganzes Leben meine Würde.“
Aber man weiß es nicht, wie man sich in diesen Sekunden entscheiden wird. Petrus war sich sicher – bis der Hahn zum dritten Mal krähte.
Hallo Detlef, seine eigene Würde der Angst zu opfern, ein schlimmes Szenario. Aber die guten Nachrichten, auf die du mich dabei bringst.
Im vollen Bewusstsein dessen, kann ich mir vorstellen, wird es nie zu diesem Tausch komen müssen. Desweiteren gibt es Vorbilder, an denen wir uns nicht messen, aber doch orientieren können. Und was ich bis vor kurzem nicht wusste, aber von dessen Grundidee ich begeistert bin, weil machbar:
Meine Schwester hat als Lehrerin in Nordrhein Westfalen ein Projekt durchgezogen, indem die Schüler lernen, Zivilcourage zu zeigen. Das in einer Strassenbahn nur einer aufsteh`n muss, damit die anderen diesem Schritt folgen, wenn die innere Stimme dazu auffordert. Man kann es üben, man kann es lernen.
Ich hatte es vor kurzem in einem krach vollen ICE ausprobieren wollen. Nichts besonderes, das leidliche Nicht Platz machen wollen. Ich habe es dabei noch nicht geschafft, aber ich habe auch klar spüren können, das es machbar ist. Beim nächsten mal wird es vielleicht schon besser. Das macht mir Mut.
Aber gut, das du nochmal auf Petrus hingewiesen hast. Sicher? – das wäre Arrogant.
Ich finde es auch sehr wichtig, Zivilcourage und Werte zu vermitteln und für Situationen zu trainieren, die aus heiterem Himmel auftreten können.
Das schlimme Szenario ist Alltag: Jeder kann blitzartig vor die Entscheidung zwischen Angst und Würde gestellt werden. Von einem Moment zum anderen kann deine moralische Integrität auf der Schneide stehen. Und Angst kann ein sehr überzeugender Ratgeber sein! Ich wage zu sagen: Angst ist nicht IMMER der falsche Ratgeber. Ich würde mich an deiner Stelle nicht schon im vorhinein verurteilen (Aussätzigkeit).
Als Beispiele habe ich gerade im Kopf „Lord Jim“ von Joseph Conrad – oder Ted Kennedy: einige Sekunden in einem versinkenden Auto haben seinem Leben einen Stempel aufgedrückt.
Du sagst es, Detlef, vielleicht ist es die Angst, das ich meine Würde verlieren könnte, was mir bisher noch garnicht so richtig klar war. Was ich in den letzten Jahen gelernt habe und auch hier sehe, ist, das das Sprechen über seine Ängste der beste Weg ist, sie zu überwinden. Vielleicht hast du und Violine mein Bedürfniss danach erspüren können, weswegen ich mich für diesen Dialog bei euch aufrichtig bedanke.
Mir kommt zu Zivilcourage grade eine gesehene Szene in den Sinn: Ein ‚Mutiger‘ stellt sich nicht gegen den Täter, sondern auf die Seite des Opfers, so, dass der Angreifer sich auf einmal gezwungen sieht entweder mehr Kraft aufzubringen und evtl. doch zu scheitern oder sich zurückzuziehen.
Ich glaube dieses Bild kann man sich in Zug/Bus vorstellen, am Arbeitsplatz oder in der Politik oder auf der Straße ….
Vielleicht kostet das weniger Mut als sich offen gegen den Täter zu stellen und kann dazu noch effektiver sein.
Eines Tages werde ich es erfahren, was dieses geheimnisvolle S(tef)unny bedeutet, bei dem ich mir fast immer die Finger breche.
Vielleicht sind wir wirklich in den meisten Fällen garnicht so wehrlos unseren Ängsten ausgesetzt, wie es anfangs den Anschein hat. Sich das Ungewisse und Unbekannte anzusehen, ihm Form und Konturen geben, macht es (an)greifbar. Und plötzlich wird dann aus der ängstlichen Verteidigungssituation eine standhafte Wand, die es ersteinmal umzuhauen gilt. Ich finde deine Idee großartig, weil fast alles „im Goppe losgät“