an unseren Schwächen arbeiten.
Darüber haben P. und ich heute mal nicht auf einem Spaziergang, sondern in einem wunderschönen Cafe aus der Gründerzeit, dem Cafe Grundmann, unsere Gedanken ausgetauscht. Doch immer noch stolpere ich über eins: Schwächen.
Wie oft schon habe ich darüber gelesen und diskutiert, nie ist mir dabei in den Sinn gekommen, „Schwächen“ zu hinterfragen. Unüberlegt und gedankenlos habe ich versucht, Schwächen in mir zu finden (denn die muss es ja geben, sonst würde nicht so oft davon gesprochen), habe sie gejagt wie ein Tier, um sie dann entweder mit Pfeil und Bogen niederzustrecken, oder sie wie ein kleines Kind liebevoll in den Arm zu nehmen und zu trösten (ja, ja, meine Kleinen, wir gehören zusammen und alles wird gut) oder sie mit geschickten Mänovern in ein notwendiges und positives Regulativ umdefiniert – und Ruhe ward. Vorerst.
Doch heute habe ich mich darin festgebissen, vermute darin mal wieder einen heimtückischen Angriff, (ich werde doch nicht schizophren sein?) in welchem „Schwächen“ dem Menschen Schuldgefühle aufdrücken will, um ihn klein zu machen – damit ein darüber stehendes Wesen Macht erhält und ausüben kann.
Ist das nicht Unsinn? Schwächen?
Jeder von uns kann irgend etwas gut, und jeder kann irgend etwas anderes weniger gut, ist also weniger begabt, oder ungeschickter, oder ist nicht so talentiert. Aber sind das Schwächen? Manch einer ist auch unpünktlich, brutal, unzuverlässig, diziplinlos, verlogen.. sind das Schwächen des Menschen an sich oder nicht eher Versäumnisse und Defizite aus Hintergründen der Erziehung?
Wenn „Schwäche“ zur Ausübung von Macht benutzt wird, empfinde ich Abscheu. Wenn mir Menschen helfen wollen Defizite zu überwinden, empfinde ich Dankbarkeit.
Können Schwächen nicht auch zu unseren Stärken werden? Dafür finde ich hier den Anfangssatz sehr treffend: „mit unseren Stärken an unseren Schwächen arbeiten“.
In einer Situation zu stecken, wo bewusst mit den eigenen Stärken Macht ausgeübt wird, andere manipuliert werden, um die eigenen Schwächen nicht zeigen zu müssen, das ist finde ich schrecklich. In so einer Situation zu sein macht hilflos, zerrt an der eigenen Energie und nimmt einem die Lebensfreude. Aus so einer Situation braucht es für mich eine Menge Kraft und Mut die Wahrheit auszusprechen und eigenverantwortlich Entscheidungen zufällen.
Ja, manchmal braucht es Kraft und Mut, aus dieser Situation auszubrechen, manchmal braucht es aber auch (leider, oder gottseidank, oder..wie schon selbst erlebt) einen großen Leidensdruck, aus dem dann vielleicht Kraft und Mut erwächst.
Ich meine aber auch, solange wir glauben, Schwächen zu haben und diese nicht zeigen zu wollen, ergeben sich daraus die von dir beschriebenen Mechanismen der Macht- und Manipulatinsausübung – um zu verdecken, zu verstecken.
Wenn ich aber davon ausgehe, keine Schwächen im gesellschaftlich gebrauchten Sinn zu haben, dann gibt es absolut keinen Grund für mich, in irgendeine Reaktion zu treten, auch nicht in die der Macht und der Manipulation.
„Wie oft schon habe ich darüber gelesen und diskutiert, nie ist mir dabei in den Sinn gekommen, „Schwächen“ zu hinterfragen.“ Gerade das, finde ich, würde zum Besseren führen. „Unüberlegt … habe ich versucht, Schwächen in mir zu finden…“
Das, finde ich, ist der Beginn neurotischen Verhaltens.
Lieber M. – alle Vermutungen, die ein Mensch beim Betrachten seines Selbst anstellt, sind irgendwie „heimtückisch“, da doch in ihnen der Keim der Erkenntnis schlummert, dass seine Burg nicht ganz so sturmsicher ist, wie er sie sich >>heimlich<>Heimliche<<, dem Selbstbild nämlich, gleichkommt.
Weil dem so ist, vermeidet der Mensch, sich selbst an zu greifen. Irgendwann bereut er das und bezichtigt, wie es denn immer ist, anderem der Schuld an seinem „Schiss“ – der Macht der Eltern, Geschwister, Lebenspartner, Kinder, Kollegen, Vorgesetzten, der Regierung – und schließlich, Höhepunkt der Neurotik – der „Gesellschaft“, die er als ein über ihm „stehendes Wesen“ empfinden möchte, um sich vor der Erkenntnis zu drücken, dass er einen Teil hat an derer ‚Heimigkeit’ und damit „Macht“. Da er dies aber nur möchte – auch der Mensch ist nicht zum Neurotiker bestimmt –, schafft er sich Gespenster („Ein Gespenst geht um in Europa. Das Gespenst des Kommunismus ((der Erziehung, des Papismus, des Antichrist, des Kapitalismus, der Globalisierung etc.pp.)))“ und ‚beißt sich an ihnen fest’. „Ist das nicht Unsinn?“
Wenn ich von menschlichen Schwächen rede, meine ich nicht die Defizite in irgendeinem Können, das Fehlen irgendeines Talentes, einer bestimmten Begabung. Ich meine damit auch kein unterentwickeltes Sittlichkeits-verhalten.
Ich meine damit die schwachen physischen und psychischen Potenzen, den heimtückisch eigenen Angriffen auf sich selbst Widerstand zu leisten.
Diese Schwächen zu sublimieren könnte uns gelingen, wenn wir die Überschüsse an starken Potenzen in uns erkennten und diese hinleiteten, die schwachen zu stärken.: „Mit unseren Stärken an unseren Schwächen arbeiten“. Das wäre das Ende der Gespenster. Ich weiß, dass das geht.
Liebe Inga Dragic Oltersdorf. Du hast am Ende etwas sehr Treffendes – so meine ich – gesagt, wenn ich es etwas kupieren darf:
„In einer Situation zu stecken,… die eigenen Schwächen nicht zeigen zu müssen, … finde ich schrecklich. In so einer Situation zu sein macht hilflos, … und nimmt einem die Lebensfreude. Aus so einer Situation braucht es für mich … Kraft …, die Wahrheit auszusprechen … .“
Mein Nachsatz: Unsere Schwächen können nicht zu unseren Stärken werden!
Lieber P., da hast du mir eine tüchtig schwere Hausaufgabe gestellt. Ich meine, eine Ahnung zu haben, was du mir zu verstehen geben willst, aber ich kann es nicht exakt greifen. Oder fehlt da ein Komma:
„Ich meine damit die schwachen physischen und psychischen Potenzen, den heimtückisch eigenen Angriffen auf sich selbst(KOMMA) Widerstand zu leisten.“ ?
Zum meinem verstehen deines Kommentars und dem „Aha“ fehlt glaube ich nicht viel, vielleicht nur ein Satz oder ein Wort – das werden wir rausfinden 🙂
LG, Menachem
@ Petersdom
In jedem Fall können unsere Schwächen nicht zu unseren Stärken werden. Doch ich empfinde es als Stärke, wenn ich aufrictig in ihnen präsent bin und mich traue, mich darin zu zeigen. Dann kann Mitgefühl entstehen, weil ich Mitgefühl mit mir selbst habe.
Das finde ich macht uns zum Menschen, für mich ist es sehr menschlich, nicht perfekt zu sein, mal alles zum Kotzen zu finden und vielleicht aus lauter Überforderung und Angst ,auch mal manipuliert zu haben. Ja, das ist dann ein Machtmissbrauch, wenn mir selbst garnicht bewusst ist, wovor ich im Grunde weglaufe: nämlich vor mir selbst, vor der Wahrheit mich in meiner Schwäche wirklich zu zeigen!!
Leider ist es so, dass der Leidensdruck erst sehr groß wird, bevor der Mut da ist, eigene Grenzen zu überschreiten. Wenn ich mich darin selbst im Spiegel nicht ansehen kann, kann ich darin auch anderen nicht begegnen.
Versuch einer Korrektur: „Ich meine damit unsere schwachen physischen und psychischen Potenzen, die uns hindern, den heimtückisch eigenen Angriffen auf uns selbst Widerstand zu leisten.“? Geht das?
@ Inga Dragic Oltersdorf
@ Petersdom
Inga –
ich meine, Dich zu verstehen, gestatte mir, meinen Extrakt zu ziehen, um mit Dir (und M.) in’s Gespräch zu kommen:
Das finde ich stark: ‚ Ich behaupte meine Präsenz über meine Schwächen!‘
Das finde ich schwach: ‚Ich will damit erreichen, daß auch andere ein solches Mitgefühl mit mir haben, wie ich selbst.‘
Das – finde ich – degeneriert die menschliche Gattung.
Wir werden nicht einen Deut ‚menschlicher‘, wenn wir es als einen Wert empfinden, nicht perfekt zu sein. Auch nicht, wenn wir uns darin wohlfühlen, uns um unseres oft andersbestimmten Selbstempfindens zu bemitleiden.
Wir würden – vieleicht – ‚menschlicher‘ wenn wir das, was wir uns wünschten den Menschen offen offenbarten, statt uns vor ihnen zu verstecken oder wegzulaufen. Ich habe den Verdacht, daß ich im Grunde nicht „vor mir selbst, vor der Wahrheit mich in meiner Schwäche … zu zeigen“ weglaufe, sondern vor den Menschen, die sich durch meine Offenbarungen genötigt sähen, sich für ihre Schwächen zu entschuldigen und – weil das kaum möglich ist – sich agressiv zu mir verhalten. Nun gehört zu meinen Schwächen die, vor einem aggressiven Gegenüber zu kneifen. Um mich zu retten, habe ich den Begriff der ‚Toleranz‘ gefunden und mich zuweilen damit überfordert.
Und manchmal kann ich mich nicht im Spiegel ansehen, weil ich spüre, daß meine Toleranz nur Feigheit ist – meine Schwäche.
Doch wenn ich, eitel wie ich bin, gern in den Spiegel schaue – was auch geschieht – , dann schaue ich offen hinein – und ich sehe einen, der so manches nicht gepackt hat und vieles nicht mehr packen wird. Und dann mag ich mich und ich glaube, mir wüchsen Kräfte.
Schreibt doch mal zurück Inga und M.
Mir geht es jetzt richtig gut.
@Inga: „Doch ich empfinde es als Stärke, wenn ich aufrictig in ihnen präsent bin und mich traue, mich darin zu zeigen.“
Das ist, wenn ich es auch anders ausdrücke, meine Quintesseznz und das wichtige. Ich finde darüber hinaus, das dies auch ohne eine besonderes Stärke für jeden Menschen eine Selbstverständlichkeit sein sollte.
@lieber Petersdom, dass was du zur Toleranz und Feigheit schreibst finde ich sehr gut. Aber auch in mir, hat die Feigheit ein reichlich und gutes zu Hause. Doch bin ich bis zu dieser Stelle noch nicht bereit, dies als meine und eine Schwäche zu benennen, was vielleicht auch aus einem unterschiedlichen Verständnis von Schwäche zwischen den Schreibenden hier herrührt. Gegen Schwäche, die Schuld und Scham aus einem Wertesystem impliziert, das nicht meins sein muss, und mich dahigehend zu einer Veränderung drängt, dagegen wehre ich mich. Weil auch ich glaube, wie du oben schreibst, das wir dadurch nicht menschlicher werden, sondern, indem wir unsere Wünsche offenbarten, einfach so zu sein und zu zeigen, wie wir sind.