3 große Visionen hatte ich für „mein“ Leben. Dabei sind meine großen Visionen, nüchtern betrachtet, die ganz normalen Lebensträume. Von einem möchte ich heute erzählen, weil – das ist so eine Sache damit.
Ich habe mein Leben lang überwiegend gerne meine Arbeit gemacht. Das Prädikat „gerne“ bin ich bereit zu vergeben, wenn die Quote 51 % aller absolvierten Tätigkeiten erreicht, in denen ich mich gut gefühlt habe oder einem Ziel entgegen gestrebt bin, dass meinem Ego bedeutende und wohlfühlende Stimmung verliehen hat.
Wäre diese verflixte „Erinnerung“ nicht. Die viel zu viel von dem frisst, was da noch alles war. Gerne würde ich die Quote auf 65 – 70 % erhöhen, wobei:
ich mir auch sehr gut vorstellen kann, dass diese Prozentehascherei für den unbekümmerten Leser, der jetzt hier vorbeischaut, eine nicht nachvollziehbare Erbsenzählerei darstellt.
O.K. – dem würde ich jetzt sagen: Schau` doch noch einmal in 2 – 5 Jahren hier vorbei. Vielleicht bist du dann in einer Phase, dies hier neu zu lesen und zu verstehen.
Doch, weiter im Text: Natürlich bedeutet 65 – 70 % „gerne“ auch, dass da immerhin noch gute 30 % sind, die nicht so dolle waren. Und in diesen guten 30 % liegen auch die 5 %, bei denen die Wertung „hässlich“ noch ein rücksichtsvolles schmeicheln darstellen. Diese letzten 5 % beinhalten eine ebenso übergroße dimensionale Gewichtung, wie sie z.B. die Vermögensverteilung der Menschen darstellt. Kleine Prozente mit großer Bedeutung und Wirkung.
Aber – es geht hier nicht um reale Prozente. Es geht um „Gefühltes“.
Zurück zu Vision Nr. 3.
Privat und Beruf habe ich nie getrennt. Manchmal schon – aufgrund des von außen auf mich einwirkenden Drucks. Aber „Alles“ war für mich immer EINS. Wie das mit Privat, Familie und Beruf in Einklang zu bringen ist? Ein andermal!
In dieser nie wirklich von mir vollzogenen und gelebten Trennung zwischen Privat und Beruf, und dazu noch als Selbstständiger, habe ich Arbeitsstunden NIE gezählt. Ich wusste, dass ich spätestens mit 55 Jahren die Lebensarbeitszeit eines Angestellten in mittlerer Position abgeleistet haben würde.
Aber ich hatte eine Vision! Oder einen Wunsch? Oder einen Traum? Oder – was?
Wie die meisten von uns, ich nenne es einfach „in Rente gehen“, habe ich in dem Bild gelebt, irgendwann mit den mir verbleibenden gesundheitlichen und finanziellen Möglichkeiten die Früchte des Arbeitslebens pflücken zu dürfen. Dabei habe ich auch für diese zukünftige Zeit nie in im Blick gehabt, Privat und Beruf wie eine Nabelschnur für alle kommenden Zeiten zu durchtrennen. Nein! Dazu war und bin ich mit allem viel zu viel verwachsen gewesen, denn, das glaube ich auch: die Trennung zu einem gerne ausgeübten Beruf ist nicht viel einfacher, wie die Trennung zwischen einem geschätzten, gemochten und wichtigen Menschen – nach 30 jährigem Haut-an-Haut leben.
Es sind zwei Dinge die ich versuche, aus diesen Zeilen für mich zu erhellen und einen neuen Umgang damit zu finden:
Visionen, oder Träume oder Wünsche, begleitet von der einzigartigen kraftspendenden „Hoffnung“ sie zu erreichen, betrachte ich als das Lebenselixier, dass wie Blut durch unsere Lebensadern fließt und uns in Bewegung hält – nach Vorne. Und mögen diese Visionen, Träume oder Wünsche aus den verschiedenen Perspektiven noch so klein und unbedeutend sein.
Und nun, vielleicht auch nur vorerst vorübergehend am Ziel, bin ich überrascht, wie jede neue Phase im Leben einen neuen und eigenen Plan und eine neue Struktur benötigt. Derzeit habe ich noch Nichts von Beiden. Für mich ist es meine 2. Midlife crisis. Fragte ich mich in der 1. mit 45: „ War`s das schon? Das soll es gewesen sein?“, so ist es heute: „Das war`s! Doch, wie kann ich das bis heute Erhaltene für mein Leben und das anderer Menschen umsetzen, korrigieren, erweitern?“ Ein Frage, die mich innerlich mit sehr viel Energie und Freude bewegt.
Nun:
das letzte dieses etwas längeren Beitrages, was sich erst durch diese Niederschrift hier für mich herauskristallisiert, ist:
Es ist und darf überhaupt nicht wichtig sein, ob irgend ein Leser den Inhalt dieser Zeilen in seiner Gedanken- und Gefühlswelt versteht und für sich selbst stimmig nachvollziehen kann, genauso wenig, wie jemand meine Bedrücktheit nachvollziehen können muss, das mein Kanarienvogel heißer ist, oder meinen Glücksgefühlen nicht folgen kann, weil ein Kundenauftrag NICHT erteilt wurde – und mein dadurch bevorstehender Urlaub ungefährdet bleibt.
Zuhören und Empathie verstehe ich wieder mal neu, indem ich mich selbst ganz herauszunehme. Aus-, und auf internen Notstrom umschalte. Wie ein Schamane, der in Trance ganz in den anderen Menschen eintaucht, eins mit ihm wird und sein Selbst darin aufzugeben bereit ist. Anschließend – kehrt in sein Selbst zurück. So – heilt er den Kranken. Und vielleicht – auch sich selbst.
Leider – ist nur sehr wenigen Menschen diese Fähigkeit vergönnt.
Doch – träumen können wir alle davon. Und öfter als wir glauben, werden Träume wahr.
Zu deinen Prozenten fällt mir ein: als (ebenfalls) Selbstständiger lernte ich folgende Formel anzuwenden: 70% Wiederholungen der ewig gleichen Abläufe, 10% Ausnahmefälle / Überraschungen, 15% ärgerliche Nevereien, 5% „Glück“. Für diese 5% arbeiten wir am langen Ende. Wer seine Aufmerksamkeit zu sehr auf die 70% richtet, sollte seine Firma schnell schliessen. Wer seine Aufmerksamkeit zu sehr auf die 10% oder gar die 15% richtet, wird über kurz oder lange krank.
Sehr pauschal, zugegeben, aber realistisch als grundsätzliche Linie.
Was die Visionen betrifft – ich habe es so verstanden, dass du jetzt Erfahrungen teilen resp. weitergeben möchtest, das kann ich gut nachvollziehen. Und daneben natürlich der gewohnten Tätigkeit weiterhin nachgehen, soweit das möglich ist. Allerdings fehlt dir noch die Struktur?
Wie entsteht eine neue Struktur? Wird sie von aussen angelegt oder erwächst sie aus nach und nach aus dem eigenen Tun und der Begegnung mit der Aussenwelt? Mir scheint, diese Frage hat sich dir noch nicht so deutlich gestellt…
Schöne Grüße vom Schwarzen Berg
Ja, du triffst es sehr gut, Herr Ärmel. Manchmal, aber nur manchmal, bin ich aber auch froh der 70 % gleicher Abläufe, in deren geübtem Ablauf ich auch etwas Entspannung finde.
Ich empfinde einen Unterschied zu meinen Wegen in jungen Lebensjahren, in denen aus einem reichhaltigen Angebot an Zielen ausgewählt werden konnte. Meist wahrscheinlich eher unbewusst, aber doch meinem eigenen Naturell am nächsten.
Derzeit empfinde ich mich zwischen den Stühlen sitzend. Die alten Lebensziele habe ich erreicht, in denen ich mich sicher und vertraut zu Recht finde. Und nun kommt mal wieder das LOSLASSEN vom alten, und das EINLASSEN auf das Neue.
Zwischen Loslassen und ein Einlassen öffnet sich meist ein Abrund oder eine Schlucht. Gefährliches Terrain. Metamorphosen sind auch ganz brauchbar und hin und wieder auch ein Abenteuer 😉
Ich gestehe, dass ich nicht alles in deinem Beitrag verstanden habe. Aber der Titel „Visionen“ hat mir sofort das Herz erwärmt und ich kann die Bedeutung, die solche Visionen für dich haben oder hatten, nur zu gut nachvollziehen. Vielleicht besteht die Kunst darin, die eigenen Visionen immer wieder zu überprüfen und zu schauen, ob sie tatsächlich noch immer dem entsprechen, wonach das Herz sich sehnt. Schließlich ändern sich die Dinge – und ich für meinen Teil hatte in meinem Leben schon Visionen, die ich zu einem späteren Zeitpunkt ohne jede Wehmut fahren ließ (wie z.B. die, in einer Gemeinschaft zu leben, oder auch nur Kinder zu haben). Andere wiederum begleiten mich stetig und kontinuierlich, wenn sie sich auch in ihren Detaildarstellungen wandeln.
Da ich nicht selbständig bin, gibt es für mich schon eine klare Trennung zwischen Beruf und Privatem, zumindest was konkrete Arbeitszeiten und Arbeitsinhalte angeht. Allerdings merke ich immer wieder, wie sehr meine berufliche Identität auch meine private prägt oder umgekehrt. Die Art, wie ich das Leben betrachte und auf Ereignisse reagiere, ist eng verwoben mit meinem Beruf. So gesehen ist die Trennung zwischen Beruflichem und Privatem eigentlich auch nur eine Illusion. Und über meine Rente habe ich mir, ehrlich gesagt, noch nicht allzu viele Gedanken gemacht. Aber meine Vision ist es, im Alter mehr Zeit zum Schreiben zu haben. 🙂
Dir wünsche ich viel Glück und beherzten Mut für den Sprung über die Schlucht!
Mit den Visionen ist das so eine Sache. Ich wollte zum Beispiel immer Schriftsteller werden.
Mit 25 habe ich geheiratet und wurde selbständiger Übersetzer. So hatte ich immer etwas zu schreiben und konnte sogar Frau und drei Kinder damit ernähren.
Als ich dann 50 war, hatten wir die Jahrtausendwende, das Internet und die Globalisierung. Wo für andere ein Anfang war, war ich erst mal am Ende. Am Ende der Selbstausbeutung. So konnte es nicht weitergehen.
In meinen 50er Jahren habe ich dann gebloggt, Partnerin und Wohnort gewechselt, mich gesundheitlich erholt und gejobbt.
Jetzt bin ich 61 und hätte die Zeit und die materielle Sicherheit, meinen Traum vom Schriftstellersein zu verwirklichen.
Allein mir fällt nichts ein.
@Schreibman – dieses Phänomen kenne ich. Ich hatte Vor-stellungen und Über-legungen, das heisst der Blick war nicht frei für die Zukunft und der Kopf war zu für Inspirationen. Ich glaube nicht mehr an Visionen im Sinne von Zukunftswunschgedanken. Das tägliche Leben ist die Realität, die uns alles bietet, wenn der Kopf frei und der Blick nach vorn gerichtet ist.
Schöne Grüße vom Schwarzen Berg
@Herr Ärmel – Du sagst es. Habe mir erlaubt, auch Dich in meinem heutigen Eintrag („Visionen?“) zu zitieren.
@Schreibman – Du hast einen Blog, der mir sehr interessant erscheint. Ich werde mich dort sicherlich genauer umsehen.
Liebe @Schattentänzerin, ich danke dir sehr für deine ehrliche Antwort, nicht alles in diesem Beitrag verstanden zu haben. Ich würde mich riesig freuen, wenn diese Ehrlichkeit in den kleinen blogwelten aufrechterhalten bleiben könnte.
Das es schwer zu verstehen ist liegt vielleicht auch daran, dass ich mein Leben lang meist nur im kaufmännischen Geschäftsbetrieb geschrieben habe. Das hat sich verinnerlicht. Diametrale Welten. Geht es bei dem einem um reine „Fakten“, geht es beim dem Anderen um das entzünden der Fantasie. Das eine ist mein Metier, das andere mit Sicherheit und gekonnt deins.
Weißt du, @Schattentänzerin, ich finde es eigentlich überhaupt nicht mehr so wichtig, wie Visionen zu erklären sind. Ich habe diesen Begriff hineingegeben, nach meiner Art und Verständnis, und nun darf er bei jedem seine ganz eigene individuelle Wirkung entfalten – oder auch nicht. Das, gebe ich zu, freut mich sehr. Für mich, aber auch für die Personen, in deren Hirnen es jetzt seinen Platz zu finden sucht. Und, vielleicht, geschehen gerade bei diesem suchen nach einem Platz neue und andere fruchtbare Gedanken.
Und zum Schreiben im Alter, liebe @Schattentänzerin und @Herr Schreibman, möchte ich kurz etwas aus meiner Erfahrung schreiben (ich hatte es hier schon einmal vor längerer Zeit geschrieben, aber jetzt gerne noch einmal – wobei ich auch glaube, dass vieles erst in der Rückschau mit einer langen Distanz einen Sinn ergibt)::
Mit 28 Jahren wollte ich die Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule in Saarbrücken machen. Ich war der Letzte von 7 Mann in unserer Band, ohne fundierte Ausbildung. Für den Tag hatte ich mich lange gequält. Ich bin also in die Musikhochschule rein, an den Türen vorbei, aus denen die Cellos, Klaviere und Trompeten der anderen Prüflinge klangen und weiter geradewegs wieder in mein Auto und heim. Ohne Aufnahmeprüfung.
Das ist mir viele, viele Jahre nachgegangen. Heute weiß ich: Musik ist was tolles, aber Musiker von Beruf? Nein! Das hätte ich doch nie werden können und vor allen: nicht wollen.
Danach habe ich noch 7 Jahre mit Musik ein sehr üppiges Leben führen können und dann war meine Firma so weit, dass sie ohne diese finanzielle Unterstützung lebensfähig war.
Lieber @Herr Ärmel, ich denke doch, dass trotz aller Realitätsbezogenheit du deiner Fantasie und deinen Träumen einen gebührendem Rahmen in deinem Leben offen hälst. Oder täusche ich mich da so sehr?
@Menachem – natürlich träume ich auch. Das begann schon in der Grundschule. Die grosse Linde vor dem Fenster zog mich mehr als die Tafel. Und als Fotograf ist gelegentliches Träumen sehr hilfreich. Träume nach dem Muster „Si j´etait reine“ gehen mir allerdings ab und dazu gehören (für mich) auch Visionen. Wegen eines Worts sollen aber keine Missverständnisse aufkommen.
Schöne Grüsse vom Schwarzen Berg
Davon, dass ich das Schreiben zum Beruf machen möchte, habe ich auch gar nicht gesprochen… 😉
Freud! 🙂 mich