Sommerferien. Viele Erst- und Zweitklässler kommen in dieser Zeit zu Oma und Opa. Nach Leipzig Grünau. Für mich hier, – eine der gelungensten Metamorphosen städtischer Wohnkultur.
Heute Vormittag spielen die Buben Fußball. Auf einer der großen Wiesen. Und dabei erscheint es ihnen unmöglich zu sein, mal für einen Augenblick still zu halten. Aus den kleinen Kraftwerken ihrer drahtigen und jungen Körpern entströmt eine nicht enden wollende Energie.
Ich steh am Fenster und schau` ihnen zu. Knapp 60 Jahre später hat mich das Leben zum genauen Gegenteil dieser unbekümmerten Spaßbande geformt. Drahtig? Könnte man evtl. noch zu mir sagen, wenn ich direkt neben Obelix stehe. Bewegung? Jeder Schritt wird mittlerweile auf seine absolute Notwendigkeit durchgecheckt. Kraftwerk? Meins ist bis ins rote Feld ausgelastet, wenn ich allein mein Gewicht (das doppelte bis dreifache dieser Jungen) ins 2. Stockwerk zu transportieren habe. Fußball,- klar, das geht noch. Aber nur im Fernseher.
Und was denke ich dann?
– als bekennender Hedonist, mittlerweile tüchtig vollschlank und behäbig? Hey, man…, alles so normal. Ohne jeden Spaß und mit Widerwillen müsste ich mich quälen, um in die Nähe der Facon zu kommen, die das neue Bild der Ausgedienten suggeriert. Immer aktiv und jung, in die rosige Zukunft eines nie enden wollenden Lebens schauend. Alles Kappes. Shitbull, und nur den Millionengehältern der Vorstände dienend, die mit hinterhältigster und tiefenpsychologischer Werbung sich eine neue Konsumentengruppe erschließt: Die Alten.
Was steht im „Buch des Lebens“, – „Die vier Jahreszeiten“? Wer kennt den Schluss? Ist es ein Happy End?
Die jungen Buben, die heute Vormittag hier Fußball spielten, sie haben vielleicht gerade das 7. oder 8. Kapitel ihres „Lebensbuches“ gelesen. Meine/unsere Kinder lesen gerade Kapitel 27, 35 und 39. Und natürlich meinen sie, mit großer Selbstsicherheit, sie wüssten schon Alles, was in den weiteren Kapiteln folgt. Und was notwendig ist zu tun, gleich einem Pokemon oder Monopoly Spiel, um bis zu Kapitel 100 vorzudringen. Tja, aber die folgenden Kapitel gelesen, habe nur ich. Mittlerweile bleibe ich ruhig dabei, denn es würde sie ihrer Erfahrung und der Spannung berauben, würde ich von Kapitel 39 bis 64 berichten. Und wenn, wäre es auch nur ein Auszug aus meinem Buch.
Der Islam spricht vom dem Buch, in dem bereits „Alles“ fest niedergeschrieben steht. Ich habe das Buch noch nicht zu Ende gelesen. Wieviel Kapitel kommen noch? Was wird darin stehen?
Hhm…, irgendwie, das Nichtwissen, – das macht es weiterhin spannend!
Lieber Menachem, ich finde das eine interessante Überlung, die mich zu manchen Gedanken anregt. Vielen Dank dafür und herzliche gen Osten,
Herr Ärmel
Lieber Menachem,
nachdem ich deinen Beitrag mehrmals aufmerksam 😉 gelesen habe, mag ich ein paar eigene Gedanken einbringen. Es ist erstaunlich wie unterschiedlich Fremd- und Selbstwahrnehmung doch immer wieder sein können. Als langjährige Leserin deines Blogs bin ich über das Bekenntnis des Hedonisten erstaunt. Doch das nur so nebenbei.
Es ist richtig, dass sich ein beträchtlicher Absatzmarkt eigens auf die „Ausgedienten“ – persönlich gefällt mir die Formulierung „die jungen Alten“ allerdings besser – gebildet hat. Die Angebote für diese Menschen sind vielfältig und verlockend. Für die Wirtschaft ist diese Zielgruppe willkommen. Stellt sich die Frage: Wie lange noch, bei einer stetig wachsenden Gruppe von Rentnern bei gleichzeitigem Stillstand oder Rückgang von Erwerbstätigen?
Ich denke ab einem gewissen Alter hält jeder Mensch Rückschau, um den roten Faden seines Lebens zu entdecken und in das bereits gelebte Leben zu integrieren. Ich höre oft von Menschen, die ihre Lebensgeschichte Kapitel für Kapitel niederschreiben. Manchmal nur für sich. Manchmal geben sie ihre Geschichte auch guten Freunden/Bekannten zum lesen. Ich spüre, dass es ihnen ein großes Bedürfnis ist vertrauten Personen aus dem eigenen Leben zu erzählen. Manchmal ist dies ein wahrer Segen, sowohl für den Schreibenden als auch den Lesenden.
Liebe Grüße und vielen Dank für diesen Beitrag, der selbst nach diesem Kommentar noch mit mir werkelt.
Christa
„Junge Alte“ haben noch die Möglichkeit, am eigenen Zustand etwas zu verändern. Das finde ich durchaus inspirierend und motivierend, es nicht einfach hinzunehmen, mich mit mittlerweile nötiger Pause in den 3.Stock zu schleppen. Mein Gewicht ist verdammt nochmal kein Schicksal – ich kann es vermindern und muss dabei auch den Hedonismus in Gestalt der Freude am Essen nicht komplett in die Tonne treten. Das hat auch was Abenteuerliches, bringt die Lust auf Veränderung mit sich: mal schauen, wie es ist mit 15 Kilo weniger… 🙂
Werter Herr Ärmel, mehr kann ich eigentlich von einem Beitrag nicht erwarten, als dass er zu weiteren Gedanken anregt. So geht es mir ebenfalls mit ihren Gedanken aus ihrem blog. Beste Grüße nach Bembeltown 🙂
Und so ist es auch mit deinem Kommentar, liebe Christa, der eine Fülle von Selbstgesprächen in mir ausgelöst haben. Ein Ende kann ich dabei noch gar nicht erkennen, deshalb mal jetzt eine erste kleine Zwischenbilanz.
Auf die Spuren meines „roten Fadens“ hatte ich mich auch gemacht. Ist bereits ein paar Jahre her. Einerseits meine ich, diesen Weg dann nicht mehr weiter verfolgt zu haben, andererseits kann es sehr gut sein, dass ich ihn doch noch hier im blog weiter nach spüre,- es aber selbst nicht mehr erkenne. Vielleicht auch, weil ich dem ganzen Nachforschen nicht mehr diesen Namen des „roten Fadens“ zuordne. Getreu meines Glaubens glaube ich auch hier, dass du als Außenstehende es sehr viel besser sehen und erkennen kannst, als ich selbst.
Den „Ausgedienten“ haftet nach meiner Meinung einerseits der Geruch der „nicht mehr gebrauchten“ an, andererseits aber auch, „müssen sie nicht mehr dienen“. Es kommt darauf an, auf welcher dieser beiden Seiten ich mich selbst fühle. Und da tendiere ich zum „nicht mehr müssen“. Das „nicht mehr müssen“, so hatte ich es schon einmal beschrieben, eröffnet andere und ganz neue Lebensräume. Und sehr große. Das erkennen und der Umgang mit diesem neuen Schatz der Freiheit ist mir noch immer sehr ungewohnt. Aber mit Woche für Woche empfinde ich immer mehr Gefallen an dieser Situation.
Und ich glaube auch, Christa, dass vieles was ich hier in diesem blog geschrieben habe, ein therapeutisches Schreiben war und ist.
15 kg.- Claudia? Das hört sich aber nach einer ganz riesigen Lust auf Abenteuer und Veränderung an. Für mich würden jetzt 4 kg reichen, und der Rest wird dem Schicksal, oder auch Hedonismus, zugeteilt. Soweit mein „heute“. Morgen, und in diesen Dingen halte ich mich für sehr flexibel, könnte das schon wieder ganz anders aussehen 🙂
Liebe Grüße aus Leipzig, Menachem
Ähm, Menachem – ich bin eine sie, eine Aussenstehende *lach*. Die Wortspielerei mit den „Ausgedienten“ gefällt mir sehr gut. Nicht mehr müssen, sich die Rosinen herauspicken dürfen, klingt verlockend. Darauf freue ich mich.
Das war wohl ein Freud`scher, Christa, und schwupps, hokus pokus…. 🙂
Ich bin auch ein Hedonist. Trinke jeden Abend meinen Wein, den habe ich mir verdient! Das ist dann immer mehr als „ein Glas“.
Hedonist sein bedeutet auch kindlichen Spaß an der Bewegung. Ich spiele manchmal einen kleinen Softball gegen die Wand und erspurte den fast beliebig zurückspringenden Ball. Manch Nachbar wird und kann denken: Spinnt der?
Hallo Gerhard, sorry, war jetzt 2 Tage unterwegs.
Dein Kommentar hier erneuert meinen Mut, trotz meiner stark hedonistischer Tendenzen, wieder etwas an meinem Gewichtsverlust zu machen. Als ich deinen schönen und ausführlichen Kommentar bei Claudia dazu las, dachte ich noch, ja, das mit dem Step zur Musik kann ich auch mal wieder anfangen ( hat mir sehr viel Spaß gemacht) und jeden Abend um den Block, das schaff ich auch, allerdings ……
nach dem „um den Block“ gehen komme ich als letzte Station immer an der Kneipe meines Vertrauens vorbei ( ihr kennt das ja, „die kleine Kneipe in unserer Straße“) und das verträgt sich ja nicht so wirklich, wenn ich die nicht „links“ liegen lasse.
Wenn du aber hier schreibst, ein! Glas Wein geht dennoch, na,- dann starte ich das Projekt noch mal. Danke dir für diese „wichtigste“ Ergänzung 🙂
Bleib Gesund! Liebe Grüße aus Leipzig, Menachem
„das verträgt sich ja nicht so wirklich, wenn ich die nicht „links“ liegen lasse.“
Stimmt nicht so ganz! Denn den Trimmweg hast du in jedem Fall auf der Plusseite.
o.K., heute Abend heißt es: Auf (los) geht`s!!!!
Dann mal viel Freude und Spaß bei diesem hedonistischen Projekt. Du weißt ja, in jedem neuen Anfang liegt ein Zauber inne. Viel Erfolg!